Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 6 (2016), 1 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Jan Rydel

 

Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Band IX: Die Habsburgermonarchie und der Erste Weltkrieg. 2. Teilband: Weltkriegsstatistik Österreich-Ungarn 1914–1918. Hrsg. vom Institut für Neuzeit- und Zeitgeschichtsforschung, Forschungsbereich „Geschichte der Habsburgermonarchie“. Bearbeitet von Helmut Rumpler / Anatol Schmied-Kowarzik. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2014. 425 S., 8 Ktn., zahlr. Tab. = ISBN: 978-3-7001-7531-5.

Der großformatige, mehr als 400 Seiten zählende Band ist in der seit Jahrzehnten geschätzten, monumentalen Reihe der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Die Habsburgermonarchie 18481918 erschienen, die von Adam Wandruszka gegründet wurde und seit 1973 unter der Herausgeberschaft von Helmut Rumpler erscheint. Jeder der Bände, von denen manche in zwei Teilen erschienen sind, wurde einem Aspekt der Geschichte der Habsburgermonarchie gewidmet, so u. a. der wirtschaftlichen Entwicklung, den Nationalitäten der Monarchie, der Verwaltung und Innenpolitik, dem Militärwesen, den internationalen Beziehungen. Der elfte Band ist der Habsburgermonarchie im Ersten Weltkrieg gewidmet, was in Bezug auf die Konzeption der vorherigen Bände gewissermaßen inkonsequent erscheint, jedoch der „eschatologischen“ Logik dieses Krieges für Österreich-Ungarn Rechnung trägt.

In seinem Vorwort weist Helmut Rumpler darauf hin, dass die statistischen Angaben ursprünglich als Anhang zum Band XI Die Habsburgermonarchie und der Erste Weltkrieg geplant waren, aber im Laufe der Vorbereitungen so sehr an Umfang und Gewicht gewonnen hätten, dass daraus ein eigener Teilband entstanden sei. Notwendig wurde dies auch, weil sich die bisher veröffentlichten statistischen Angaben über den Ersten Weltkrieg als sehr unvollständig und zudem häufig als widersprüchlich erwiesen haben. Der Mitautor Anatol Schmied-Kowarzik erklärt in einer umfangreichen, quellenkundlichen Einleitung die Entstehung der verschiedenen statistischen Datenbestände zur Zeit des Krieges, die meistens getrennt für Österreich, Ungarn und Bosnien-Herzegowina gesammelt und erfasst wurden, sowie ihre mit der Zeit sinkende Qualität und Aussagekraft.

Nach dem Ersten Weltkrieg unternahmen zwar die statistischen Ämter in Österreich und in Ungarn Versuche, die Kriegsjahre zu erfassen und die erworbenen Datensätze zu publizieren, allerdings taten sie das unter sehr unterschiedlichen Voraussetzungen. In der Republik Österreich wurden zwar relativ viele Weltkriegsstatistiken vorbereitet, allerdings bezogen sie sich nur auf das Land innerhalb der neuen Grenzen, wodurch so gut wie keine Angaben zu den ehemaligen cisleithanischen Gebieten, die außerhalb der Grenzen der Republik Österreich lagen, berücksichtigt wurden. Nur in der Tschechoslowakei wurden noch einige statistische Materialien über die Länder der Wenzelskrone her­ausgegeben. In Ungarn veröffentlichte man nach dem Krieg zwar relativ wenige Statistiken zum Ersten Weltkrieg, diese betrafen dann dennoch das gesamte Gebiet des Königreichs Ungarn in den alten Grenzen. Aufgrund dieser Umstände hat es bis jetzt keine zusammenhängenden statistischen Daten zu Österreich-Ungarn während des Weltkrieges gegeben. Diese Lücke wurde durch den vorliegenden Band weitgehend ausgefüllt.

Das statistische Material ist sehr umfangreich und besteht aus insgesamt 77 Tabellen auf 340 Seiten in einem Albumformat (B4). Darüber hinaus gibt es ein mehrseitiges Verzeichnis des Führungspersonals der Monarchie in den Jahren 1914/1915, eine 28-seitige synchronische Zeittafel der politischen und militärischen Ereignisse während des Krieges, acht Karten sowie ein Quellen- und Literaturverzeichnis. Die Tabellen sind in sechs thematische Kapitel gegliedert: Bevölkerungsbewegung und Sanitätsverhältnisse; die k. u. k. Armee; Kriegstote; militärische Krankenversorgung; Versorgungslage und landwirtschaftliche Produktion; Kriegswirtschaft; Kriegsfinanzierung. Bei dem thematischen Profil der im Band publizierten Statistiken sticht eine klare Dominanz der demographischen, sozialen und wirtschaftlichen Aspekte der Geschichte Österreich-Ungarns von 1914 bis 1918 hervor. So befinden sich hier ausführliche Statistiken u.a. zu der natürlichen Bevölkerungsbewegung, zu Säuglingssterblichkeit und Seuchen- und Krankenversorgung, zur Zahl der Kriegsflüchtlinge. Sehr umfangreich sind naturgemäß die Statistiken, die die Verluste der k. u. k. Armee beschreiben und in denen u. a. die Zahl der Toten nach Kriegsjahren und -monaten, nach Jahrgängen, Waffengattung, Nationalität und geografischer Zugehörigkeit angeben werden. Darüber hinaus befinden sich hier Informationen über Kriegsseuchen in der Armee, über Verwundete, Rekonvaleszenten und Invalide.

In den Kapitel zu Kriegswirtschaft und Versorgung finden sich Statistiken über die landwirtschaftliche Produktion, Ernteerträge, den Lebensmittel- und Brennstoffverbrauch, die Preisentwicklung im Alltag, die Produktion der wichtigsten Industriezweige, über Arbeitsunfälle und Streiks, die Leistungen des Transportwesens und den Außenhandel. Auch die Fragen der Finanzierung des Staatshaushaltes, der Kriegsanleihen und der Staatsschulden werden im Band ausführlich behandelt.

Dieses statistische Material wird sicherlich bei vielen Historikern, Sozial- und Wirtschaftshistorikern sowie Regionalforschern auf ein breites Interesse stoßen, weil zahlreiche Tabellen die Unterteilung der Daten nach Kronländern, Komitaten und Landkreisen berücksichtigen. Für diesen breiten Kreis der Historiker, die sich mit dem Gebiet der ehemaligen Habsburgermonarchie befassen, bedeutet dies eine hervorragende Unterstützung. Allerdings kommen die Interessen einer Gruppe von Historikern bei diesem Profil des Bandes zu kurz, nämlich die der Militärhistoriker, was bei einem Buch über den Ersten Weltkrieg etwas verwundert. Der Teil des statistischen Materials, der direkt der Beschreibung der österreichisch-ungarischen Streitkräfte im Krieg gewidmet ist (Die k. u. k. Armee) umfasst 18 Seiten; dagegen erstrecken sich die Angaben zu den Kriegstoten und zur militärischen Krankenversorgung über mehr als 40 Seiten. Die Tabellen im Kapitel über die k. u. k. Armee beschränken sich auf die allgemeinen Ergebnisse der Mannschaftsmobilisierung, die Musterungen zum Landsturm, die nationale und sprachliche Struktur der Mannschaften, das Offizierskorps und den Truppenkörper des gemeinsamen Heeres (und dies nur im Jahre 1911). Auffallend und nicht einfach zu erklären ist, dass sich die Angaben zum Führungspersonal auf die Periode 1914/1915 beziehen, die späteren Kriegsjahre dagegen unbeachtet bleiben. Der Eindruck, dass die letzten Kriegsjahre recht stiefmütterlich behandelt wurden, verstärkt sich in der Tabelle Nr. 17, die die Ein-, zwei- und mehrsprachigen Truppenkörper des gemeinsamen Heeres 1911 (S. 157) beschreibt. In dem Standardwerk der österreichischen Geschichtsschreibung von Richard G. Plaschka, Horst Haselsteiner und Arnold Suppan, das 1974 in Wien unter dem Titel Innere Front. Militärassistenz, Widerstand und Umsturz in der Donaumonarchie 1918 erschien, befindet sich im Anhang eine mehrseitige statistische Aufstellung über Die nationale Zusammensetzung der k. u. k. Armee (Infanterie und Kavallerieeinheiten) im Mai 1918 (2. Band, S. 335–352), die einen hervorragenden Vergleich mit dem Jahr 1911 ermöglicht hätte, aber in dem vorliegenden statistischen Band erstaunlicherweise nicht berücksichtigt wurde.

Es gibt eine ganze Reihe militärhistorischer Probleme, die statistisch erfasst werden könnten. Dazu zählen z. B. die quantitativen Aspekte der Bewaffnung der Armee während des Krieges, die illustrieren würden, wie sich die „Kriegskunst“ im Laufe des Krieges veränderte und wie sich die wirtschaftliche Lage der Monarchie auf die Leistungsstärke der Armee auswirkte. Von größter Bedeutung für das Gesamtbild der Armee im Krieg wären Statistiken, die die Iststärke der Truppenkörper oder auch eine Gegenüberstellung von Verlusten und Ergänzungen der Mannschaft in den einzelnen Einheiten während der Kriegsjahre darstellen würden. Auch die gravierenden Veränderungen im Offizierskorps während des Krieges könnte man durch die sich verändernden Zahlenverhältnisse der Reserveoffiziere zu den Berufsoffizieren sowie durch Angaben zum „Ausstoß“ an Absolventen der verschiedenen Offiziersschulen illustrieren.

Sehr vielsagend wären auch Statistiken über Fahnenflucht sowie militärische Gerichtsstatistiken über Urteile wegen Hochverrats und ähnlicher Verbrechen. Einiges zur Vorstellung über die Moral der Truppen würde eine Statistik über verliehene Orden und Auszeichnungen beitragen. Auch die statistische Erfassung der habsburgischen Untertanen in fremder Kriegsgefangenschaft sowie der „fremden“ Kriegsgefangenen in Österreich-Ungarn würden das Bild des Weltkrieges bereichern. Statistisch erfassbar wären auch die Leistungen der Kriegsmarine und der Luftwaffe. Die Liste der wünschenswerten Statistiken ließe sich ohne Probleme fortsetzen, auch wenn Angaben weder für sämtliche in Frage kommenden organisatorischen Einheiten noch für die gesamte Kriegszeit verfügbar sind. Immerhin wäre es sinnvoll gewesen, zumindest Stichproben z. B. für einzelne Truppenkörper und Zeitabschnitte zu erstellen. Die Gründe, warum die Verfasser des Bandes auf diese Aspekte der Weltkriegsstatistik verzichtet haben, sind nicht ganz klar. Vielleicht fühlten sich die Herausgeber von dieser Aufgabe befreit, weil sich die militärgeschichtliche Forschung nach wie vor auf die zwischen 1931 bis 1938 erschienene, mehrbändige Edition Österreich-Ungarns letzter Krieg. 1914–1918 stützen kann. Ein Teil der Tabellen und Karten in dem zu besprechenden Band stammt auch aus diesem Werk.

Es stellt sich aber die Frage, ob nach mehr als siebzig Jahren, in denen zahlreiche neue Studien zu verschiedenen Teilaspekten der Geschichte der Habsburgermonarchie im Ersten Weltkrieg erschienen sind, es nicht an der Zeit wäre, den Lesern einen neuen Satz militärgeschichtlicher Statistiken zur Verfügung zu stellen. Auch wenn der vorliegende Statistikband diesen Wunsch nicht erfüllt, sondern einen eher sozialen und wirtschaftlichen Schwerpunkt hat, bietet er dennoch eine hervorragende Ergänzung zur österreichischen Geschichtsschreibung über den Ersten Weltkrieg.

Jan Rydel, Kraków

Zitierweise: Jan Rydel über: Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Band 11: Die Habsburgermonarchie und der Erste Weltkrieg. 2. Teilband: Weltkriegsstatistik Österreich-Ungarn 1914–1918. Hrsg. vom Institut für Neuzeit- und Zeitgeschichtsforschung, Forschungsbereich „Geschichte der Habsburgermonarchie“. Bearbeitet von Helmut Rumpler / Anatol Schmied-Kowarzik. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2014. 425 S., 8 Ktn., zahlr. Tab. = ISBN: 978-3-7001-7531-5, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Rydel_Rumpler_Habsburgermonarchie_Band_XI_ Erster_Weltkrieg_Teilbd_2.html (Datum des Seitenbesuchs)

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